Was mich im Oktober beschäftigt hat

Fünf Fragen, fünf Gedanken aus diesem Monat. Über Love-Scamming und Selbsttäuschung. Über ein kleines Café in Paderborn und unfassbar gutes Essen. Über Apfelkuchen-Exzesse, Literatur-Irritationen und einen Erste-Hilfe-Kurs, der meine Sicht auf die Nulllinie in Serien verändert hat.

Ich merke immer mehr, wie schnell ein Monat vorbeirauscht. Dinge passieren, ich denke viel, rede viel, speichere alles irgendwo im Kopf – und vergesse es dann wieder. Deshalb diese Kolumne. Einmal im Monat fünf Fragen, die mich beschäftigt haben. Nichts Fertiges, keine großen Thesen. Eher kleine Momentaufnahmen, Dinge, die hängen geblieben sind, weil sie irritiert, berührt oder einfach nur Spaß gemacht haben.

Heute also die Ausgabe Oktober. Bin ich wie immer am 16. November ganz schön spät dran. Na ja.

Könnte mir das auch passieren?

Man denkt ja immer: Mir nicht. Ich bin doch nicht naiv. Ich kenne das Internet, ich erkenne Fake-Profile, Bots und billige Maschen sofort. Und wenn mir jemand schreibt, er sei ein Promi oder hätte sich in mich verliebt, dann würde ich doch sofort merken, dass da was nicht stimmt. Oder?

Genau mit dieser Selbstsicherheit spielt Sarah Kuttner in ihrem neuen Roman „Mama & Sam“. Darin versucht eine Tochter nach dem Tod ihrer Mutter zu verstehen, wie diese auf einen sogenannten Love Scammer hereinfallen konnte – also auf jemanden, der im Netz Zuneigung vorgibt, um Geld oder emotionale Kontrolle zu erlangen. Was als Versuch beginnt, die eigene Trauer und die Beziehung zur Mutter zu ordnen, wird schnell zu einer Art Ermittlung.

Die Ich-Erzählerin nennt sich selbst „Kinderkommissarin“, und das passt: Sie legt Schicht für Schicht frei, bis ein erschütterndes, aber erstaunlich nüchtern erzähltes Bild entsteht.

Wie so oft bei Kuttner ist die Sprache glasklar, manchmal lapidar, dann wieder fast zärtlich. Sie beobachtet genau, nie von oben herab, sondern mit einem leisen Mitgefühl, das umso stärker wirkt, weil es nicht ausgestellt wird.

Das Beeindruckende: „Mama & Sam“ ist spannend wie ein kleiner Kriminalfall, aber im Kern ein Buch über Nähe, Schuld und die Frage, wie gut man einen geliebten Menschen wirklich kennt. Und ja, es bringt einen dazu, kurz innezuhalten und sich zu fragen: Würde ich merken, wenn mich jemand manipuliert? Oder würde ich es so lange nicht wahrhaben wollen, bis es zu spät ist?

Ein kluges, bewegendes Buch, das unter die Haut geht. Und ganz unverkennbar ein Buch von Sarah Kuttner.

Wie lange kann man ein Café auf der Liste haben, bevor man es endlich ausprobiert?

Ich hatte das Heinrichs in Paderborn seit Monaten auf meiner Liste. Immer wieder daran vorbeigescrollt, immer wieder gedacht: Da musst du hin. Und dann war es jedes Mal geschlossen, wenn ich dort war. Klassischer Timing-Fail.

Im Oktober hatte ich Glück. Es war verkaufsoffener Sonntag und das Heinrichs ausnahmsweise geöffnet. Ich hab extra bei Instagram noch einen Tisch reserviert, da ich ein bisschen Schiss hatte, das alles belegt sein wird. Das Café Heinrichs wird von Jonas Stommel und Oliver Hebenstreit geführt.

Innen ist das Café klein, ruhig und in Gelbtönen gehalten. Es gibt pflanzliche Küche, immer ein Wochengericht. Ich habe das Sunday-Special genommen, das auf der Karte stand. Focaccia mit indischen Gewürzen, Kurkuma-Coleslaw, knusprigem Kerala-Austernpilz, Tamarinden-Chutney, Curryblatt-Mayo, Green Raita, Zitronen-Achar, Koriander. Viel Text, ich weiß. Aber auf dem Teller war das glasklar. Knusprig, frisch, würzig, sauer, scharf. Einfach unfassbar lecker!

Ich war dann einige Wochen später nochmal da und hab eine der besten Spaghetti Bolognese auf Tofu-Basis gegessen, die ich jemals hatte. Praktischer Hinweis: Das Heinrichs ist klein. Es kann schnell voll sein. Und es hat nicht jeden Tag offen. Daher solltet ihr vorher Instagram checken, ob es geöffnet hat.

Mein Fazit: Wenn ihr in Paderborn seid, geht da unbedingt hin. Das Heinrichs ist kein Trend-Café, sondern ein Ort, der zeigt, wie stark pflanzliche Küche sein kann und das man wirklich keine trierischen Produkte braucht, um super leckere Gerichte zu kreieren.

Wie viel Apfelkuchen kann man bitte essen?

Ehrlich gesagt: deutlich mehr, als ich dachte. Ich hatte im Oktober so viele Äpfel zu Hause, dass ich irgendwas damit machen musste. Pur esse ich die fast nie. Ich mag dieses mehlig-säuerliche Gefühl nicht, das manche feiern. In Kuchen ist das was anderes. Da verlieren Äpfel ihre Strenge, werden weich, süß, warm. Funktionieren plötzlich.

Ich musste sofort an eine Fertigmischung denken, die ich im Studium bei Aldi Süd gekauft habe. Ein völlig unspektakulärer Kuchen, aber mit ordentlich Marzipan drin. Damals fand ich die Kombi aus Apfel und Marzipan soooooo gut. Dieses klebrig-süße Aroma, das alles zusammenzieht, hat sich eingebrannt. Also habe ich angefangen, das nachzubauen. Erst einmal, dann wieder, dann noch einmal. Am Ende waren es im Oktober drei Kuchen in vier Wochen. Jetzt stimmt alles und das Rezept für den Apfel-Marzipan-Kuchen teile ich auch mit euch.

Warum gelten dieselben Gesten bei Männern als Charme und bei Frauen als Arroganz?

Ich war bei der Eröffnung der lit.Ruhr in der Lichtburg in Essen, Christoph Kramer las aus seinem Roman „Das Leben fing im Sommer an“. Die Atmosphäre war erwartungsvoll, die Halle voll. Moderiert hat Mona Ameziane, die wirklich gute Fragen gestellt hat. Jessy Lee hat „So leicht“ gesungen – stark, klar, sehr berührend. Und trotzdem war das irgendwie nicht meine Veranstaltung.

Ich dachte mehrmals: Irgendwas irritiert mich. Vielleicht lag es daran, dass ich mich kurz vorher viel mit der Debatte um Caro Wahl beschäftigt hatte und der Kritik an ihrer Art, sich auf Bühnen zu zeigen. Diese ganze Aufregung über angebliche Überheblichkeit, Inszenierung, Ego. Und dann sitzt ein Fußballer vorne und macht Dinge, die bei ihr vermutlich den nächsten Shitstorm ausgelöst hätten. Lässige Gags über sich selbst, okettiert immer wieder damit, wie gut er lesen kann (Kann er nicht.) und wie lustig er doch sei. Ein bisschen zu viel Selbstbewusstsein, ein bisschen dieses „Ich kann mir das erlauben“-Auftreten. Ich bin ein Mann. Ich bin Weltmeister, inetrssiert mich alles nur so mäßig, Hauptsache mien Buch ist auf Platz 1 der Spiegel-Bestseller-Liste, das war das Ziel. Niemand nimmt daran Anstoß. Im Gegenteil: Das Publikum lacht freundlich, applaudiert warm.

Ich habe mich gefragt, warum dieselbe Haltung bei Männern als Charisma gilt und bei Frauen als Arroganz. Ob es wirklich um Inhalt geht oder um Erwartung. Um Rollenbilder, die wir alle mit uns herumtragen, ohne sie zu hinterfragen. Ich habe mich dabei ertappt, wie ich die ganze Zeit beobachtet habe, statt mich einfach auf den Text einzulassen. Das Buch ist ganz gut, hab es gerne gelesen ;)!

Jetzt mal ehrlich: Wann habt ihr das letzte Mal Erste Hilfe geübt?

Ich hatte neulich einen Kurs bei der Arbeit. Acht Stunden Pflaster, stabile Seitenlage und sehr viel Theorie, die man nur halb erinnern kann, wenn man sie nicht einmal wirklich gemacht hat. Wir haben an einer Puppe Herzdruckmassage geübt und ich war überrascht, wie brutal das eigentlich ist. Man drückt nicht „sanft“. Man drückt „fester, schneller, weiter“, bis man denkt, man bricht dem Ding gleich den Brustkorb. Genau das soll man tun. Sonst passiert nichts.

Wir haben auch gelernt, wie man einem verunglückten Motorradfahrer den Helm abnimmt. Klingt nach etwas, das man auf keinen Fall anfassen will, weil man Angst hat, etwas falsch zu machen. Aber der Moment, in dem jemand keine Luft bekommt, ist der größere Schaden. Also: stabilisieren, zu zweit, langsam abziehen, Kopf halten. Kein Hexenwerk, nur Überwindung.

Und: Ich habe das erste Mal einen Defibrillator in der Hand gehabt. Diese Geräte, die in Filmen immer spektakulär Menschen zurück ins Leben katapultieren. In echt ist das komplett anders. Der Defi entscheidet selbst, ob ein Schock überhaupt sinnvoll ist. Man kann ihn nicht „einfach draufhalten und hoffen“. In Wirklichkeit funktioniert das anders. Ein AED löst nur aus, wenn der Herzrhythmus noch „chaotisch“ ist, also bei Kammerflimmern oder pulslosem Kammertachykard. Da ist noch elektrische Aktivität vorhanden, nur völlig außer Kontrolle. Der Schock soll sie sozusagen einmal zurücksetzen.

Wenn aber gar kein Rhythmus mehr da ist, also eine Nulllinie, dann bringt ein Schock gar nichts. Genau das Gegenteil von Hollywood. Dort schocken sie immer, sobald es dramatisch aussieht: flache Linie, Schock, Patient springt zurück ins Leben. Tja, so ist es eben nicht.

PS: Ich habe einen neuen Blog und werde dort vor allen Dingen über Kommunikationsdinge schreiben. Ihr findet ihn hier :)!

PPS: Keine Ahnung, warum ihr das tun solltet, aber wer Bock hat die alten Rückblicke zu lesen, kann alle Monatsrückblicke auf einen Blick bekommen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert